Zur Situation schwangerer, geflüchteter Frauen*
Flucht birgt neben vielen anderen Belastungen auch gesundheitliche Risiken. Für geflüchtete, schwangere Frauen* ist es besonders schwer, die erforderlichen psychosozialen und medizinischen Angebote in Deutschland wahrnehmen zu können. Nach internationalen Vereinbarungen für die Umsetzung von sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten (SRGR) haben alle Menschen jedoch Anspruch auf hochwertige und barrierefreie Angebote während der Schwangerschaft und rund um die Geburt.
Flucht als Gesundheitsrisiko für Schwangere
Bisher fehlen wissenschaftlich belastbare Daten zum gesundheitlichen Zustand und zur Versorgung schwangerer, geflüchteter Frauen* in Deutschland. Die wenigen vorliegenden Untersuchungen zur Gesundheitsversorgung von Migrantinnen und Migranten ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland konnten aber zeigen: Frauen* ohne Aufenthaltsstatus suchen am häufigsten wegen urogenitaler Erkrankungen und Schwangerschaften medizinische Hilfe und Beratung. Auch in anderen Ländern, die Geflüchtete aufnehmen, berichten Expertinnen und Experten, dass geflüchtete Schwangere im Vergleich zur jeweiligen Gesamtbevölkerung deutlich stärker gesundheitlich gefährdet und benachteiligt sind.
Schwangerschaft und Flucht ist dringliches Thema
Genaue Zahlen, wie viele geflüchtete Frauen* schwanger nach Deutschland kommen oder hier schwanger werden, fehlen. Internationale Daten zeigen aber deutlich, dass die gesundheitliche Versorgung von schwangeren, geflüchteten Frauen* alles andere als ein Randthema ist.
- So hebt beispielswiese ein gemeinsamer Bericht der United Nations Refugee Agency (UNHCR), des United Nations Population Fund (UNFPA) und der Women’s Refugee Commission (WRC) ausdrücklich die hohe Zahl von schwangeren Frauen* unter den nach Europa geflüchteten Menschen im Zeitraum Januar bis November 2015 hervor.
- Der United Nations Population Fund (UNFPA) geht in einem weiteren Bericht von fast einer halben Million – allein bei den syrischen Geflüchteten – schwangerer Frauen* aus, die bereits fliehen mussten oder von Flucht bedroht sind.
- Die Women’s Refugee Commission (WRC) macht zudem auf die sechs bis 14 Prozent aller geflüchteten Frauen* im reproduktiven Alter aufmerksam, die jederzeit schwanger werden könnten.
Besondere Umstände berücksichtigen
Die medizinische Behandlung und psychosoziale Beratung schwangerer, geflüchteter Frauen* müssen an die besondere Situation der Betroffenen angepasst sein. So können etwa die Umstände, wie es zur Schwangerschaft gekommen ist, sehr unterschiedlich sein. Angebote müssen die unterschiedlichen Belastungen und Bedarfe von schwangeren, geflüchteten Frauen* erkennen und im Hinblick auf Beratung, Behandlung, Hilfe und Versorgung berücksichtigen.
Anspruch auf gute Versorgung deutlich machen
Seit der Internationalen Konferenz zur Bevölkerung und Entwicklung in Kairo 1994 gehören die fachliche Betreuung von Müttern und Kindern, insbesondere während der Schwangerschaft und rund um die Geburt, zu den anerkannten Rechten von Frauen* weltweit. Mit dem Modellprojekt „Fachdialognetz für schwangere, geflüchtete Frauen*“ will pro familia dazu beitragen, dieses Recht in der gesundheitlichen Versorgung und psychosozialen Beratung von betroffenen Frauen* zu stärken.
Internationale Berichte und Dokumente zur Situation schwangerer, geflüchteter Frauen* finden Sie auch in der Mediathek.
Sexuelle und reproduktive Rechte als Menschenrecht
Das Recht auf qualitativ hochwertige Informationen und Beratung für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte steht für pro familia und ihre internationale Dachorganisation International Planned Parenthood Federation (IPPF) im Rang eines individuellen Menschenrechts. Diesem Grundsatz ist auch das Modellprojekt „Fachdialognetz für schwangere, geflüchtete Frauen“ verpflichtet.
Müttergesundheit als nationaler und internationaler Konsens
„Alle Frauen haben das Recht auf geeignete Dienstleistungen in Zusammenhang mit Schwangerschaft, Entbindung und postnataler Gesundheitsversorgung sowie auf ausreichende Ernährung während der Schwangerschaft und Stillzeit.“ Diese für die Arbeit von pro familia wesentliche Verpflichtung aus der IPPF Charta der sexuellen und reproduktiven Rechte findet sich auch im Leitbild der deutschen Entwicklungspolitik. Dies fußt auf dem Aktionsprogramm der Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo. Es markiert einen Wendepunkt damaliger Entwicklungs- und Familienpolitik, indem es den bis dahin dominierenden bevölkerungspolitischen Ansatz zugunsten eines auf Bedürfnissen und Rechten von Frauen und Männern basierenden Ansatzes ablöste. In das breite Konzept der reproduktiven Gesundheit floss damals auch die Müttergesundheit ein.
Von Europarat bis Weltgesundheitsorganisation
Weitere wegweisende internationale Vereinbarungen und Dokumente internationaler Staatengemeinschaften haben sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte, Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern oder auch die Reduzierung von Kindersterblichkeit und Verbesserung der Müttergesundheit ebenfalls in ihre Arbeitsprogramme integriert:
- Die Beschlüsse der Kairo-Konferenz (ICPD – International Conference on Population and Development) wurden durch die vierte Weltfrauenkonferenz (1995) und die ICPD-Folgekonferenzen (1999 und 2004) bestätigt und erweitert.
- Auch stellt die Verbesserung der Müttergesundheit eines der acht Millenium-Development-Goals (MDG) dar und ist Teil der darauf aufbauenden Sustainable-Development-Goals (SGD) der Vereinten Nationen.
- Auf diese Beschlüsse bezieht sich zudem auch die Arbeit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Europarats.
Die Dokumente und Beschlüsse finden Sie auch in der Mediathek.